Krankenhausgeschichten Teil II

Ich sitze auf der Neo. Mein Kind im Arm. Ein neues Baby kommt im Brutkasten reingefahren. Und auch die Eltern betreten die Neo. Vater und Mutter stehen vor ihrem Kind. Beide vielleicht Mitte dreißig. Sie wirken unsicher, verstört. Das Baby ist etwa so groß wie meins, sehe ich beim Vorbeigehen. Nicht viel später gesellen sich zu Vater und Mutter auch noch Großeltern. Auch sie stehen vor dem Brutkasten. Auch sie unsicher, aber interessiert.

Die Eltern lassen sich viel zeigen. Wie sie das Kind füttern, wie sie es hochnehmen und wickeln können. Eifrig bemüht und interessiert lassen sie sich alles zeigen.

Immer wieder schnappe ich Gesprächsfetzen auf „da waren sie sicher überrascht“, „Schock“ oder auch „keine Ahnung gehabt“. Langsam fügt sich ein Bild zusammen und irgendwann komme ich mit der Mutter ins Gespräch.

„Wann hast du denn dann festgestellt, dass du ein Kind bekommst?“ frage ich schließlich. „Na, als es dann da war.“ lautet die Antwort.

Bauchschmerzen hätte sie plötzlich gehabt, die über die Nacht einfach nicht besser, sondern nur schlimmer wurden. Irgendwann dachte sie schließlich eine Fehlgeburt zu haben, denn mit einem fast ausgewachsenen Baby rechnete sie weiterhin nicht. Schließlich machte sie mitten in der Nacht ihren Mann wach mit den Worten „ich glaube, ich bekomme gerade ein Kind.“ er rief den Notarzt. Er sah das Blaulicht in der Ferne, als ihre Tochter bei ihnen Zuhause geboren wurde.

Ob sie jemals Kinder wollte habe ich sie irgendwann gefragt. „Nein“ sagte sie und fügte kurz danach hinzu „aber jetzt ist sie da und sie ist bezaubernd. Wie könnte man sie nicht lieben?“

Krankenhausgeschichten Teil I

Ich hatte gerade entbunden. Fünf Wochen Krankenhaus lagen da schon hinter mir. Hinter uns. Nun wechselte ich die Station. Rauf ging es zu den Wöchnerinnen.

Das zweite Bett neben meinem blieb nicht lange leer. Frau L., umgeben von drückendem Schweigen, wurde gebracht. Ich beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Mit so vielen hatte ich in den letzten Wochen ein Zimmer geteilt. Doch diese Frau war anders. Traurigkeit umgab sie. Und ich erschrak mit Blick auf ihren Bauch. Sie war doch schwanger. Gehörte sie nicht auf die Station von der ich kam? Ich bekam Angst: um das Kind in ihrem Bauch und vor der Geschichte die sie mitbrachte. Ihre Familie kam und ging. Viel Schweigen, viel Schwere. Die Sprache die gesprochen wurde verstand ich nicht. So wurde ich auch aus dem was gesagt wurde nicht schlau.

Kurz allein mit einer Pflegekraft fragte ich schließlich. Ja, erfuhr ich, die Frau wäre noch schwanger. Nein, mit dem Kind wäre alles ok. Sie würde entbinden. Morgen per Kaiserschnitt. Doch die Mutter, sie sei hochgradig depressiv. Einen Stationswechsel wollte man vermeiden, darum sei sie bereits hier. Wenn es ginge solle ich doch ein bißchen ein Auge auf sie werfen. Hochtraumatisiert, Fluchterfahrung und Fluchtgefahr waren weitere Worte die fielen.

Es folgte eine Nacht in der wir beide kaum schliefen. Sie wälzte sich und stöhnte und weinte. Sie stand mehrmals auf, verlies das Zimmer und ließ mich unruhig zurück. Ich flüchtete irgendwann selbst. Ich ging zu meinem Baby und hielt sie im Arm. So wie ich sie die nächsten zwei Wochen dort im Arm halten würde.

Ich hatte Angst in mein Zimmer zu gehen. Die Schwere war zu viel nach diesen auszehrenden Wochen. Es wurde Morgen und Frau L. war noch da als ich ins Zimmer kam. Doch es dauerte nicht lange, da wurde sie geholt um ihr Kind zu holen. Sie war panisch. Ich hielt es kaum aus.

Ich saß wieder bei meinem Kind, als ein weiteres Baby gebracht wurde. Es war ein Mädchen. Gesund und rosig. Es war das Baby von Frau L.

Die Familie kam. Die Freude war groß. Und auch Frau L. kam. Sie wanderte zwischen Zimmer und Kind hin und her. Ziellos, traurig, als würde sie etwas suchen. Sie wollte ihr Kind sehen, wollte es halten und doch schien sie es nicht auszuhalten. Sie wollte sie füttern, doch als die Schwester ging, um die Flasche zu holen, war Frau L. schon wieder fort.

Der Bruder fütterte das Kind. Liebevoll und glücklich hielt er es so im Arm, wie seine Mutter es nicht konnte. Nach wenigen Tagen wurde das Mädchen entlassen. Die Mutter blieb. Inzwischen war sie in einem anderen Zimmer. Ich sah sie auch die Tage danach noch wandern. Jetzt noch zielloser.

 

 

 

Vom Scheitern am Beispiel von Frau P.

Frau P. rief mich an.
Es gehe um Taufe sagte sie mir. Genauer gesagt, um ihre Taufe.

Frau P. und ich vereinbarten einen Termin.

Ihr Haus war nicht weit weg von meinem. Klein und irgendwie schief stand es an der Ecke.

Frau P. öffnete. Wir gingen eine kleine Treppe nach oben und setzten uns in ihre kleine, auch irgendwie schiefe Küche.

Frau P. wirkte nicht besonders erfreut über meinen Besuch. Ich versuchte mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich erzählte über Taufe, über Glauben, über die Liebe Gottes. Und ich fragte Sie zu ihren Gedanken. Ihre Antworten blieben einsilbig.

Nein, sagte sie. Eigentlich hätte sie da keinen Bezug zu. Nein, eigentlich wäre das mit der Taufe nichts. Aber ihr Arbeitgeber. Der wolle das so.

Sie sackte immer mehr in sich zusammen.

„Naja, man muss ja.“ Sagte sie und „so war das ja früher auch.“

Ich stockte.

„Was war früher auch so?“ fragte ich zurück.

„Naja früher musste man ja auch in der Partei sein. Da hatte man ja auch keine Wahl. Und jetzt halt die Taufe.“

Stille.

Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich setzte an und strampelte, aber ich kam nicht vorwärts.

Wir machten einen neuen Termin aus.

Ich kam noch einmal zu dem kleinen schiefen Haus, in die kleine schiefe Küche.

Doch wieder nur Resignation.

Sie wolle ja ihre Stelle nicht verlieren, sagte sie.

Ich war ratlos.

Bei meinem dritten Besuch war sie nicht da. Ich war erleichtert.

Kann man jemanden taufen, der das doch eigentlich nicht möchte? Einen Menschen, der innerlich schreit und sich wehrt.

Was tue ich dieser Frau an, wenn ich sie taufe gegen ihren eigentlichen Willen? Was tue ich der Taufe an? Doch ohne Taufe droht die Arbeitslosigkeit. Kann ich das verantworten?

Ich konnte es nicht. Weder das eine, noch das andere.

Ich habe sie nicht getauft. Es wäre mir vorgekommen wie eine Gewalthandlung.

Aber ich habe sie an einen Kollegen verwiesen. Einen der mehr Erfahrung mit solchen Fällen hat als ich. Der eine ganze Gruppe hat mit Menschen, denen es genau so geht. Bei der sie Austausch findet und wo die Möglichkeit zur Taufe weiter bestand.

Ich gab ab was ich abgeben konnte und hatte dennoch das Gefühl gescheitert zu sein. Doch eines tat ich noch: ich rief den Arbeitgeber der Frau (einen großen christlichen Träger) an und erklärte ihnen meine Sicht der Dinge. Ich klagte dort an und auch ich wurde verwiesen.

Vermutlich macht man das so, wenn man nicht weiter weiß…

 

 

Joel

Vor einem Jahr stand Joel vor meiner Tür. Joel sagte er wäre 16, sah aber aus wie elf.

Ich bat ihn rein.

Er sagte er bräuchte eine Unterkunft für heute Nacht. Er sagte er wäre gerad erst in die Gegend gezogen, wolle sich umsehen hier. Er sagte, seine Eltern wüssten Bescheid.

Er aß ein Käsebrot und spielte mit seinem Feuerzeug.

Ich stellte Fragen und bekam Antworten, die keinen Sinn ergaben. Ich stellte mir alles mögliche vor, woher er kam, wohin er wollte. Nichts davon schön.

Wir fuhren ihn in den Ort aus dem er angeblich kam. Schnell war klar nichts war wahr.

Wir riefen heimlich die Polizei.

Auch ihm wurde langsam klar, dass wir seinen Erzählungen nicht glaubten.

Er lief los. Ich lief hinterher und er begann zu reden. Von dem Heim in dem er lebte und der Reise mit seinem Betreuer auf der er sich befand. Davon das er abgehauen war heute Morgen. Davon, dass er keine Lust hatte auf diese letzte Chance, die diese Reise war um ihn von den Drogen wegzubekommen. Er erzählte von seinen Dealern, die er seine besten Freunde nannte und die die einzigen wären, denen er vertraue. Er wollte weg. Inzwischen auch weg von mir. Er ahnte, ich würde ihn nicht einfach gehen lassen.

Und dann kam die Polizei. Er sah sie und wusste sie kamen für ihn. Er versuchte nicht mehr zu fliehen. Als er in den Polizeiwagen stieg überkam mich die dumpfe Ahnung, das das nicht das erste Mal war. Ich hatte das Gefühl ihn verraten zu haben.

Joel, ich weiß nicht wo du bist und wie es mit dir weiterging. Manchmal stelle ich mir vor, du bist weiter gereist und hast etwas Ruhe gefunden. Du konntest Hilfe annehmen und dich angenommen fühlen. Dann bist du wieder zur Schule gegangen und nicht mehr zu deinen Dealern. Doch ich weiß: möglicherweise ging deine Geschichte anders weiter…

Ich habe dir gesagt, dass du mir nicht egal bist. Das war nicht gelogen. Ich habe dich nicht vergessen.

An Dich!

Du hast dich in dieses Leben gekämpft, wolltest unbedingt sein.
Mehr als einmal dachte ich du wärst nicht mehr.
Doch du bliebst, entgegen aller Prognosen.
Ich war erschöpft schon lange bevor der Weg noch steiler wurde.

Heilig Abend, kurz vor der Bescherung machtest du dich auf den Weg. Viel zu früh.
An diesem Tag an dem so viele an die Geburt eines besonderen Kindes denken, versuchten wir eine Geburt zu verhindern.
Du ließt dich überreden.
Ich lebte von Tag zu Tag, zwischen Krankenhauswänden und Hoffen.
Blutend und zerstochen, an Infusionen gelegt und überwacht.
Alles mit dir und für dich.

Was keiner geglaubt hätte an diesem Heiligen Abend: Aus Tagen wurden Wochen.

Meine Zimmernachbarinnen kamen und gingen, doch wir beide, wir blieben.

Schwangerschaftswoche 34.0. So lange wollte man warten.
Und das taten wir.

An dem Tag an dem das Warten endete, ließt du dich nicht lange bitten.

Die Wehen überrollten mich. Ich wollte schlafen, müde nach dieser schlaflosen Zeit, aber ich durfte nicht.

Ich konnte nicht mehr und doch ging es immer weiter. Die Nacht deiner Geburt erschien mir endlos.
Doch dann mit dem Morgen kamst du in diese Welt.
Winzig klein und doch so lebendig.
Alles war dran an dir, alles war gut!
Du lagst auf meiner Brust, dann nahm man dich mit.
Ich blieb allein zurück.

Als ich dich das nächste Mal sah, warst du schon angezogen. Eingemummelt in viele Schichten, damit dir nicht kalt würde.

Eine neue Zeit des Wartens begann, ein neuer Rhythmus. Alle drei-Stunden hieß der Takt. Alle drei Stunden füttern, alle drei Stunden wickeln, alle drei Stunden Pumpen.

Ich schlief fast gar nicht mehr. Ich funktionierte für dich.

Abends ging ich nach Hause. Ich weinte dich zurückzulassen und konnte doch nicht länger im Krankenhaus bleiben.

Zwei Wochen warst du auf dieser Welt, als wir kommen und dich mitnehmen durften. Der Rhythmus folgte uns, doch auch ihn haben wir inzwischen hinter uns gelassen.

Du bist das dritte und vielleicht größte Wunder, das ich erleben durfte.
Du bist immer noch klein, aber laut und wunderbar.
Dich in diese Welt zu begleiten, war eine der größten Herausforderungen meines Lebens und doch war es all das Wert.

Danke für’s Kämpfen mein Wunder!

 

Räume…

Das Abenteuer Pfarrerin geht weiter, nimmt manchmal ungeahnte Wendungen und Umwege, lässt mich manchmal aus der Puste sein und dann wieder euphorisch summend über Landstraßen fahren.

So langsam kommen wir uns näher, dieser Ort und ich. Beim Autofahren klammere ich mich nicht mehr panisch ans Lenkrad, sondern lasse meinen Blick über die weite schweifen. Ja, gelegentlich macht es sogar Spaß zwischen weiten Felder, dichten Alleen und überhaupt diese ganze Natur zu fahren, die sich vor meine Windschutzscheibe schiebt auf den Wegen zum nächsten Taufgespräch, zur nächsten Gruppe, zum nächsten Meeting.

Die Wege hier sind voller Bäume, die Orte voll leerer Straßen und die Menschen erscheinen mir ehrlich bodenständig. Sie sind anders als die verträumten Städter, die jeden Tag mit dem ganz Großen rechnen. Die Menschen hier hoffen darauf, dass es nicht schlechter wird. Denn die Menschen hier, haben meistens schon viel erlebt.

Und der Ort in dem wir leben ist, so hat es neulich jemand in meiner Gegenwart beschrieben, ist „so wunderbar authentisch“. Er zeugt davon was einmal war und nicht mehr ist. Hier gibt es keine sprudelnden Treffpunkte, hier gibt es Gebäude, die einst groß waren und ihre erhabenen Titel noch tragen, aber keiner rechnet damit, dass sie jemals nochmal so groß sein könnten wie damals.

Und die Kirche? Oder besser gesagt die Kirchen? Die Kirchen füllen sich nur punktuell. Ich frage mich wie es auch anders sein könnte. Damals, als die Stadt noch groß war, aufstrebend und überquellend von Menschen, damals spielte die Kirche eine Rolle. Die Rolle des anderen Raums. Ein Freiraum für all jene, die offen reden wollten, die nicht hineinpassten in das System, die aufständig waren und sich sammelten um zu demonstrieren. Ich habe mit Menschen gesprochen die auf die Straße gingen damals. Die Kirche noch so kennen, als den Raum der Möglichkeiten. Heute ist dieser Raum kein offenkundiges Bedürfnis mehr von vielen. Zu unterschiedlich sind die Themen der Menschen heutzutage.

Und hier sind die Menschen vielleicht auch zu alt. Die Jungen gehen fast alle weg, denn für sie gibt es hier kaum Pespektiven. Und Perspektiven entwickeln sich nicht, denn die jungen Menschen, die die Energie und die Träume hätten, gehen der Gegend verloren bei ihrer Wanderung in die Zukunft.

Bald bekomme ich Besuch von der Tochter eines früheren Pfarrers hier. Sie ist neunzig und in dem Pfarrhaus aufgewachsen in dem ich nun wohne. Sie möchte mich treffen, noch einmal durch die Räume ihrer Kindheit und Jugend gehen, die Kirche sehen und sich mit mir unterhalten. Sie wird mir erzählen, von den lauten und vollen Zeiten dieser Stadt. Jene Zeiten in denen die Stadt noch wusste wo es hingeht, und als die Kirche der andere Raum war, der Raum der Freiheit. Ich freue mich auf ihren Besuch. Und auf die Geschichten die sie mitbringen wird von damals. Und ich hoffe, dass ich ihr das Gefühl geben kann, dass dieser Ort hier noch immer Zukunft hat, wenn auch vielleicht ganz anders, als man damals geglaubt hat.

Vom Auferstehen und Missverstehen

Das erste Osterfest als Pfarrerin liegt nun hinter mir. Und was soll ich sagen, es war…interessant.

Eine Woche voll mit Gottesdiensten. Fünf an der Zahl (verglichen mit anderen Landpfarrer*innen eine sehr humane Anzahl).

Der Gottesdienst im Seniorenwohnheim in der Passionswoche lief gut. Abgesehen davon, dass es dort kein einziges Gesangbuch gab und ich spontan mein Handy nach dem Liedtext befragen musste (die Besucher*innen waren, glaube ich, nur leicht irritiert).

Als nächstes: Gründonnerstag. Für nächstes Jahr merke ich mir: selbstgebackenes Brot ist super, nur sollte man die Stücke nicht so groß schneiden, dass man erstmal fünf Minuten kaut.

Und dann kam Karfreitag.

Und das war, ich erwähnte es schon, interessant. Der erste Gottesdienst an diesem Tag war um 9 Uhr in meinem Depridorf. Das ist gar nicht böse gemeint, eher tragisch. Meine Erfahrung mit diesem Dorf ist nämlich genau so. Irgendwie deprimierend. Seit ein paar Jahren ist die Teilnehmerzahl in Gottesdiensten und anderen kirchlichen Angeboten, dort rapide gesunken. Meist sitzt man dort nur noch mit vier oder fünf Menschen. Ich persönlich fände das durchaus ok, aber die Menschen dort finden es nicht toll und dementsprechend ist es leider meist eher traurig dort.

Nun ja traurig passt ja durchaus zu Karfreitag und die sechs Menschen, die sich zum Gottesdienst um 9 Uhr auf den Weg gemacht hatten machten ihrem Ruf alle Ehre. Da ich keinen Musiker mit hatte gab es Musik aus dem CD-Spieler. Diesen hatte ich vorne, seitlich auf dem Boden stehend bei der Steckdose platziert. Was ich nicht bedachte bei der Auswahl des Ortes war, das genau dort auch der schöne Taufengel recht tief von der Decke herabhängt.

Es war wirklich eher eine traurige Veranstaltung. Kaum einer sprach mit und auch die Musik vom Band animierte kaum jemanden zum mitsingen. Die Gemeinde schwieg, während ich mich sehr bemühte (zwischen Altar, CD-Spieler (CD wechseln, Musik an), Bank (während der Lieder), CD-Spieler (Musik wieder aus) und wieder Altar) liturgische Präsenz auszustrahlen.

Nächstes Lied: Musik an, singen (allein!), CD wieder aus und beim wieder aufstehen: Krawumm! Das war mein Kopf, der genau in diesem Moment eine nicht besonders sanfte Bekanntschaft mit dem Taufengel machte.

Ein Raunen ging durch die Menge. Endlich eine Reaktion der Gemeinde! Mir schwirrte der Kopf. Ob von der unerwarteten Reaktion, oder dem Stoß kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass mir dieser Moment in Erinnerung bleiben wird. Endlich ein wenig Lebendigkeit im Gottesdienst, auch wenn ich mir dafür fast eine Gehirnerschütterung zuziehen musste.

Erster Gottesdienst geschafft.

Schnell die Kollekte zählen, alles einpacken und weiter.

Ich kam etwas gehetzt an, denn es hatte alles doch etwas länger gedauert, als geplant. Empfangen wurde ich vom Kirchdienst mit einem etwas aufgeregtem Schwall an Worten. In meinem eigenen Gehetze verstand ich nur Wortfetzen: irgendwas von Abendmahlsgeschirr, Grünspan und Glaskanne.

Ich schaute zum Altar: ah ok, das Abendmahlsgeschirr hatte Grünspan (auf den Dörfer gibt es fast nur einmal im Jahr Abendmahl, so dass das Geschirr nicht sonderlich regelmäßig in Gebrauch und das Prozedere auch entsprechend ungewohnt ist). Deshalb stand nun eine Glaskanne dort auf dem Altar. Ich nahm das zunächst so hin.

Erstmal mit dem Gottesdienst beginnen, dachte ich, es wird höchste Zeit.

Die Stimmung in diesem Dorf war eine komplett andere. Der Posaunenchor spielte und es waren insgesamt etwa 23 Menschen anwesend, die mitsprachen und mitsangen!
Es war wirklich schön!

Das Abendmahl rückte näher und ich schielte verstohlen auf das Abendmahlsgeschirr, als ich alles bereitstellte. Da stand tatsächliche eine GlasKANNE. Also so ein Ding mit dem man Flüssigkeit in Gläser oder Becher gießen konnte, aber was nun wirklich nicht zum Trinken geeignet war. Der Brotteller erschien mir riesig und die Kanne mehr als ungeeignet. Aber es half ja nichts. Da müssen wir jetzt durch dachte ich und teilte das Abendmahl aus.

Nach dem Gottesdienst kam die Frau vom Kirchdienst zu mir: sie hätte sich da wohl etwas missverständlich ausgedrückt. Nur die Kanne hätte Grünspan! Der Kelch, auf den sie den Brotteller gestellt hatte (!), wäre vollkommen in Ordnung, den hätte ich ruhig nehmen können.

Ja, nun, was soll ich sagen. Die irritierten Blicke die ich während der Austeilung geerntet habe sprechen immerhin dafür, dass dieses Gottesdiensterlebnis nicht so schnell vergessen werden wird.

So viel zu liturgischer Präsenz.

Und dann Ostersonntag. Ein wirklich schöner Familiengottesdienst.

Über die Komplikationen die jedoch dort hin geführt haben, über kirchliche Mitarbeiter*innen und rollende Steine vielleicht ein anderes Mal.

Der Herr ist auferstanden.

Halleluja!

Vom Weggehen…

Mein letzter Eintrag hier ist eine Weile her. Um genau zu sein kommt es mir fast vor wie genau 389 Jahre (so in etwa). Seit dem ist viel passiert. So viel, dass es nicht mal in 10 Artikel, geschweige denn in einen passt.

Denn seit ich hier das letzte Mal geschrieben habe, habe ich mein erstes eigenes Auto gekauft, bin zum allerersten Mal umgezogen, habe den Titel Pfarrerin erhalten, habe gelernt wieder Schaltwagen zu fahren, habe zum ersten Mal in meinem Leben ein Kinderzimmer eingerichtet, habe gefühlt 10 000 neue Menschen kennengelernt (von denen einige so Sachen sagen wie „Frau Pastorin“), habe zum ersten Mal in meinem Leben eine neue Adresse Auswendig gelernt (außer damals, als es neue Postleitzahlen gab, wisst ihr noch? aber das zählt nicht), habe eine Schramme in mein (Oh mein Gott meins!) Auto gefahren und bestimmt noch 100 andere verrückte, neue Dinge getan.

Wenn ich jemandem erzählen sollte wie mein Leben jetzt aussieht wüsste ich gerade nicht welche Situation es besser beschreibt:

Ist es der Moment in dem ich mit einem geflüchteten Menschen aus dem Iran versuche ein Taufgespräch zu führen? Zwischen uns zwei Menschen: der eine übersetzt das, was der potentielle Täufling sagt von Farsi in irgendeine andere Sprache, der nächste von dieser Sprache ins Englische und dann komme ich und andersherum. Alles was bei mir ankam war „ich möchte Christ sein!“ und das er Jesus gut fände. Eigentlich ja alles super, nur das das gar nicht meine Fragen waren.

Oder ist es der Moment, wo ich, von einem Beerdigungsgespräch kommend schon knapp dran bin für den nächsten Termin, einmal falsch abbiege und mich plötzlich auf der Autobahn ohne Wiederkehr befinde. Gefühlte Kilometer ohne Abfahrt.

Oder ist es der Moment in dem eine Frau in einem der Seniorenkreise eine Geschichte davon erzählt, wie eine Frau von einem Menschen mit Migrationshintergrund beklaut wird (mein Körper, in Reaktion auf die erwartete Fremdenfeindlichkeit, der ich nun im nächsten Moment entgegentreten muss, bekommt schon Herzrasen und Schweißausbrüche) und dann im letzten Moment stellt besagte Frau fest, dass sie ihre Sachen nur am falschen Ort gesucht hat (es war quasi eine Erzählung mit Pointe; bei mir: Erleichterung und leicht schlechtes Gewissen ob meiner eigenen Vorurteile).

Oder sind es die Momente im Pfarrkonvent, wo man eigentlich ne Liveübertragung in irgendeine Stand-up-Comedy-Show machen könnte: Da ist natürlich der Kirchenmusiker der jedes Stück spielt, als würde jemand zu Grabe getragen, und natürlich ist da auch der Pfarrer der immer zu allem noch etwas zu sagen und natürlich ist da die Jugend (bei Pfarrern bedeutet das: alle Menschen, die noch nicht die 50 erreicht haben), zu der ich selbst zähle und deren Motto sein muss: „das muss doch alles auch irgendwie anders gehen!“

Vielleicht ist der Moment der die letzten Monate am Besten beschreibt aber auch dieser hier:

Ich bin gerade eingetroffen zum Beerdigungsgespräch. Vor mir sitzt der Angehörige und guckt mich schockiert an.“ Bitte verzeihen Sie“ sagt er schließlich, „aber Sie machen jetzt die Beerdigung? Sind sie dafür nicht etwas zu jung?“ Am liebsten hätte ich gesagt: Ja, Sie haben recht, wahrscheinlich bin ich einfach für all das hier viel zu jung. Stattdessen hab ich ihn davon überzeugt das ich das kann. Denn so macht man das ja als Pfarrerin. Glaube ich zumindest.

 

Vom niemals Weggehen…

Ich bin ziemlich beständig. Man könnte es auch langweilig nennen.

Langweilig war der Titel vor dem ich irgendwie im Hinterkopf immer Angst hatte. Beständig habe ich mir mehr selber dazu gedacht, um dem „langweilig“ etwas entgegen zu setzten.

In unserer unglaublich flexiblen Welt in der Mobilität ein hohes Gut ist und der Auslandsaufenthalt oft dazugehört bin ich niemals irgendwo hin gegangen. Also im Urlaub bin ich schon gewesen und hab damit auch schon ein bisschen was von der Welt gesehen, aber ich bin nie dauerhaft weg gewesen.

Am Ende bin ich sogar so langweilig, das andere es sogar schon wieder interessant finden. Ich bin nämlich sogar noch nicht einmal umgezogen in meinem Leben. In dieser Wohnung, in der ich gerade sitze und schreibe bin ich bereits als Baby gekrabbelt, habe meine ersten Schritte getan, hier habe ich gespielt, geträumt, gelernt. Ich bin hier erwachsen geworden, habe meine Mutter ausziehen sehen, bin mit meinem Freund zusammengezogen und habe meine eigenen Kinder nach der Geburt in genau diese Wohnung, in unser Zuhause, gebracht.

Ich weiß nicht wie es ist eine andere Wohnung, ein anderes Haus, eine andere Straße, geschweige denn einen anderen Ort mein Zuhause zu nennen. Das war mir schon oft unangenehm. Nicht weil ich lieber woanders wohnen würde, sondern weil andere es komisch finden. Das Weggehen, das Umziehen, das ist normal. Aber immer zu bleiben? Nicht mal ein halbes Jahr woanders? Ich bin schon ein kleiner Freak.

Natürlich war das Bleiben nicht immer eine bewusste Entscheidung. Vieles ergibt sich im Leben. So ergab sich bei mir auch oft das Bleiben. Die große Stadt in der ich lebe ist natürlich von Vorteil. Hier ist es bunt genug für viele verschiedene Leben am selben Ort. Und doch hängt das Bleiben natürlich auch mit mir selber zusammen. Ich trenne mich schwer. Von Menschen, von Gewohnheiten, offenbar sogar von Wohnungen.

Natürlich hat auch mein Leben einige Wendungen gehabt. Es hatte aber auch immer große Konstanten. Ich liebe es Menschen kennen zu lernen. Ich liebe es aber auch Menschen in meinem Leben zu halten. Das Bleiben ist zu einer Art Lebenskonzept geworden. Ich gehe nicht weg. Denn mein Leben hier, meine Eltern, meine Freunde, unser Alltag, wir, das ist für mich Familie. Da geht man nicht weg. Man bleibt, so dicht wie es geht und schafft dieses Leben, all das Schöne, aber auch das Schwere gemeinsam. Ich weiß es geht auch über die Distanz. Ich kenne es, weil natürlich auch Menschen die ich liebe schon weggegangen sind oder sowieso woanders lebten. Aber dennoch, wenn ich es mir aussuchen könnte, ich würde all diese Menschen hierher holen. Ich würde ein ganzes Haus, besser noch eine ganze Straße mieten, einen 1a Kaffeeladen mit bestem Kuchen in einem Laden dieser Straße platzieren und wäre auf immer glücklich.

Aber das Leben ist anders. Es ändert sich. Der Tag wird kommen. Ende des Jahres steht er an, mein allererster Umzug.

Viele sagen:

„das wird dir gut tun“

„du wirst sehen, so ein Umzug ist oft eine Bereicherung“

„vielleicht wird es auch mal Zeit“.

Sie mögen Recht haben diese Vielen. Vielleicht ist es an der Zeit. Vielleicht wird es gut. Sie haben die Erfahrung ja zu allermeist gemacht. Sie wissen wie es ist irgendwo neu anzufangen.

Was sie aber nicht wissen ist, wie es ist zu bleiben und das auch das oft eine Bereicherung ist.

Handybeziehung

Ich hab ja mit meinem Mann eine Handybeziehung.

Das heißt wir kommunizieren sehr viel über Nachrichten. Manchmal hab ich das Gefühl wir reden fast mehr, wenn wir nicht beieinander sind, als wenn wir beide Zuhause sind,. Denn dann sind wir meistens zu beschäftigt mit den Kindern mit dem Haushalt und was sonst noch so zu erledigen ist. Wir schreiben uns Nachrichten schicken uns Fotos oder auch mal einen Link. Wir besprechen was wir einkaufen, welches Kind gerade nicht zum Verzehr geeignete Knete gegessen hat und wer nun diesmal beim Giftnotruf anrufen muss oder auch, ob wir heute Abend lieber Harry Potter oder House of Cards gucken. Tatsächlich kommunizieren wir manchmal sogar über Handy, wenn wir beide in der selben Wohnung sind. Z.B. wenn einer von uns gerade versucht ein Kind zum einschlafen zu bewegen.

Es kommt auch vor, das wir beide nebeneinander auf dem Sofa sitzen, beide mit dem Handy in der Hand. Manchen mag das unromantisch erscheinen, aber andere Paare führen ja auch nicht permanent tiefgreifende Gespräche. Ich kann so eine Handybeziehung durchaus empfehlen. Bei uns klappt es jedenfalls gut.

Es hat viele Vorteile nicht erst am Abend nochmal alles raufzuholen, was einen über den Tag hinweg beschäftigt hat. Ich muss nicht sagen „heute mittag hat das Baby Avocado gegessen und sich das Zeug bis sonst wohin geschmiert“, denn das Fotos hat er längst gesehen. Und er muss nicht sagen „man war es heute langweilig“, denn das weiß ich längst anhand der Fülle an Nachrichten die er mir geschickt hat mit „was machst du gerade?“

Es gibt auch Freunde mit denen ich eine Handybeziehung führe. Wie wahrscheinlich viele andere Menschen da draußen.

Und wenn ich ehrlich bin hoffe ich, dass ich auch mit meinen Kindern irgendwann eine Handybeziehung führen werde, oder wie auch immer man die Geräte dann nennen wird. Denn man ist viel näher dran an diesen Menschen. Nur ein paar Zeichen entfernt. Die Große spielt bereits mit großem Vergnügen Handytippen. Was bin ich stolz;-)